Kalles Halbzeit im VERLIES
Jansen: „Die Wichtigkeit ist nicht zu überbieten“
Der Termin war diesmal ein anderer, die Location die gleiche wie sonst – und auch die vier Gäste hatten wieder einmal Format: Aufgrund des Ostermontags erlebte, diesmal am Dienstag, der Hamburger Amateurfußball-Talk „Kalles Halbzeit im Verlies“ seine inzwischen dritte Ausgabe.
Gastgeber „Kalle“ Schwensen und Moderator Niklas Heiden begrüßten dabei neben Frank Pieper-von Valtier (Trainer des HSV Barmbek-Uhlenhorst), Marvin Karow (Spieler beim Niendorfer TSV) und Reenald Koch (Präsident von Eintracht Norderstedt) mit Marcell Jansen (aktuell Aufsichtsrat-Mitglied beim HSV und Spieler beim HSV III) auch einen ehemaligen Nationalspieler als Gast.
Pieper-von Valtier, der BU am Saisonende nach sieben Jahren als Coach verlässt („Es ist kein verflixtes siebtes Jahr, wir spielen keine schlechte Saison“), blickte auf seine Zeit in Barmbek zurück. „Es ist das Ende einer Etappe. Manchmal muss man halt nein sagen oder gehen. Ich kann noch nicht sagen, wie sich der Abschied am Ende anfühlen wird. Ich weiß nur, dass wir den Platz sicherlich nicht um 21.45 Uhr verlassen werden, wenn das letzte Spiel an einem Freitag sein wird…“, verriet Pieper-von Valtier und erklärte, sich „mit einem fröhlichen und einem weinenden Auge zu verabschieden.“ Als Highlight seiner Zeit bei BU stufte der scheidende Coach den ODDSET-Pokalsieg gegen den SC Condor ein und „dass wir nach 40 Jahren noch auf dem alten BU-Platz 3:0 gegen Altona gewinnen konnten. Aber letztlich wiegt der Pokalsieg einen Tick mehr.“
Karow: „Wenn Magath einem einen Profivertrag gibt, kann man sich auf die Schulter klopfen“
Zudem plauderte Pieper-von Valtier über seine Zeit im Nachwuchsbereich beim HSV und Alemannia Aachen („In diesem Bereich sind die Bedürfnisse von Spielern, Fans und Offiziellen ganz andere. Man muss mit anderen Situationen umgehen“) sowie seine Rap-Leidenschaft („Das stammt aus meiner Jugend-Zeit, wir haben damals mit Jan Delay und den Jungs von Fettes Brot gejammt“) und berichtete zudem über zwei Ausflüge in die große Film-Welt: Für die beiden Filme „Eine andere Liga“ und „FC Venus“ coachte er die jeweiligen Hauptdarstellerinnen Karoline Herfurth und Nora Tschirner fußballerisch: „Ich habe zum Teil sogar die Fußball-Spielszenen, die in den Filmen zu sehen sind, choreografiert. Karoline und Nora haben im Training richtig fleißig gearbeitet, da kann sich der eine oder andere was von abschneiden“, so Pieper-von Valtier, dessen Trainer-Zukunft nach der Saison noch offen ist: „Die Frage kann ich noch nicht beantworten, weil es noch keine Antwort darauf gibt. Ich höre mir an, was Vereine wollen, bevor ich kategorisch nein oder ja sage. Ein verein braucht eine Idee, von dem, was er möchte. Den Rest kriegen wir als Trainer gefüllt.“
Zweiter Gast aus der Oberliga war Marvin Karow. Der Mittelfeldspieler des Niendorfer TSV stand zu Beginn seiner Karriere im Profikader des VfL Wolfsburg und berichtete über seine Erlebnisse und Begegnungen mit Felix Magath. „Wenn Magath einem einen Profivertrag gibt, kann man sich schon auf die Schulter klopfen. Aber die Kunst ist nicht, nach oben zu kommen, sondern oben zu bleiben. Als Profi musst du einfach funktionieren – egal ob du jung oder alt bist“, so Karow, „man kriegt nicht viele solche Chancen im Leben, also muss man sie nutzen.“ Er sei, so Karow weiter, „schon ehrfürchtig gewesen“, als er Magath das erste Mal gesehen habe: „Ich stand direkt gegen Bielefeld und Schalke im Kader. Aber am Ende ist es schwierig gewesen. Der Kader war stark und ich war noch nicht so reif, dass Magath mir eine Chance gegeben hat.“ Im Endeffekt habe er sich „zu viele Eskapaden“ geleistet, erklärte Karow, warum aus einer Laufbahn in der Ersten Liga nichts wurde.
Stichwort Bundesliga: Eine klare Meinung vertrat der zweikampffreudige NTSV-Spieler („Andere sammeln Treuepunkte, ich sammle Gelbe Karten“) zum Thema HSV: „Es ist nicht erst seit heute so, dass da welche im Vorstand sind, die keine Ahnung haben. Ein Spieler wie Wallace hat keine Qualität, um Bundesliga zu spielen. Als ich die Spieler aus der U21 gesehen habe, habe ich gesagt: Top, die spielen zehn Mal besser und haben es mehr verdient als Wallace. Der bringt ja gar nichts“, nahm Karow kein Blatt vor den Mund und erklärte mit Blick auf den Niendorfer TSV, das ODDSET-Pokalspiel gegen Altona am morgigen Donnerstag und das bisherige Abschneiden in dieser Saison: „Das Spiel gegen Altona ist ein ganz wichtiges, in dem wir Vereins-Geschichte schreiben können. In der Liga ist es unser Ziel, so weit wie möglich oben zu bleiben. Dassendorf können wir nicht einholen. Die Regionalliga wäre in diesem Jahr einen Tick zu früh, wir müssen unsere Leistungen in der nächsten Saison bestätigen. Wenn der sportliche Weg gut ist, ist das Ziel, die Regionalliga anzupeilen, nicht weit weg.“
Koch: „Ich hab mir keine Gedanken gemacht, dass wir absteigen könnten“
Dort, wo Karow und Niendorf gerne hin möchten, kennt sich Reenald Koch bereits aus: in der Regionalliga. Zuletzt erlebte er als Präsident von Eintracht Norderstedt bis zum vergangenen Wochenende zehn sieglose Spiele seiner Mannschaft. „Ich hab mir in der Zeit trotzdem keine Gedanken gemacht, dass wir absteigen könnten. Die Mannschaft ist so stark, dass wir die nötigen Punkte holen“, so Koch, der nicht nur seinem jetzigen Club, bei dem er seit 16 Jahren „Chef“ ist, sondern auch den FC St. Pauli eng verbunden ist: „Ich war dort als Spieler und Präsident über 20 Jahre im Verein, mein Herz schlägt braun-weiß. Die Mannschaft ist so stark, das sie die Zweite Liga halten wird.“ Deutlich Stellung bezog Koch auch, was das Pokal-„Aus“ der Eintracht am „grünen Tisch“ wegen des Einsatzes des durch eine Rote Karte in der Liga auch für den Pokalwettbewerb gesperrten Präsidenten-Sohnes Philipp Koch angeht: „Die Schuld haben mehrere – unter anderem auch ich. Die Aussage vom Norddeutschen Fußball-Verband war kein Gerichtsurteil. In den Statuten steht klar, dass der Spieler gesperrt ist, bis die nächste Instanz entschieden hat. Der Hamburger Fußball-Verband hat völlig nach Recht und Gesetz gehandelt. Den Fehler haben der NFV und Eintracht Norderstedt gemacht, nicht der HFV.“
Als Verein habe Norderstedt – die Reserve und die A-Jugend stehen vor dem Abstieg – „nicht das beste Jahr. Für die Zweite ist es schwer, bei der A-Jugend hatten wir vor der Saison bei der Auswahl des Trainers sicherlich nicht das beste Händchen. Jetzt haben wir da mit Jens Martens einen Fachmann“, so Koch, der anschließend auch einen Blick in die Zukunft und einen möglichen Schritt in die Dritte Liga warf. „Wir sind momentan dabei, mit der Stadt ein Projekt umzusetzen. Das Gelände an der Ochsenzoller Straße, wo unser Stadion steht, ist ein Filetstück für Wohnungsbau. Die Stadt beschäftigt sich mit der Machbarkeitsstudie für ein Stadion an anderer Stelle mit bis zu 10.000 Zuschauern sowie fünf weiteren Plätzen. Wenn das umgesetzt werden kann, dann beschäftigen wir uns mit dem bestreben, eine Klasse höher zu denken“, sagte Koch.
Jansen: „Wenn ich mich verpissen will, hätte ich dieses Amt nicht antreten müssen“
Marcell Jansen bezog zunächst Stellung zu einem Interview, dass sein Ex-Nationalelf-Kollege Per Mertesacker vor Kurzem dem „Spiegel“ gegeben hatte und in dem er über Drucksituationen als Profi sprach. „Ich kann seine Aussagen nachvollziehen. Die Führungsspieler in der Nationalelf wussten, was 2006 für ein Druck auf ihnen lastete. Die WM im eigenen Land war das größte Ereignis. Egal, was es für Nebengeräusche gab: das hat unsere Kultur verändert“, so Jansen, der – losgelöst von seiner Rückkehr auf den Platz beim Oberligisten HSV III („Ich wollte das von Anfang an richtig machen und nicht nur ein mal im Monat mitspielen. Ich bin emotionalisiert vom Engagement der Truppe und der Ehrenamtlichen“) – erklärte: „Der Amateurfußball hat eine Wichtigkeit, die nicht zu überbieten ist – das habe ich schon als Profi immer gepredigt. Dort und in der Jugend werden so viele Spieler gebündelt, die Spaß haben. Man kann gar nicht genug über Amateursport reden.“ Nur logisch, dass sich auch sein neuestes Projekt an den Amateurfußball wendet: die PICUE-App.
„Das ist etwas, was es im Social Media-Bereich noch nicht gibt. Da ging“s bisher immer nur um einzelne und wie geil deren Leben ist, bei PICUE kann man sich als Mannschaft oder Gruppe präsentieren, den Fans etwas zurückgeben. Es gibt Einblicke in die Kabine, der Fan weiß, was abgeht. Daher suchen wir derzeit auch die socialmedia-affinste Mannschaft Hamburgs. Es gibt 2500 Euro für die Mannschaftskasse zu gewinnen“, verriet Jansen (hier geht’s zur Aktion), der anschließend auch zum Thema HSV Stellung bezog. „Ich sehe unter dem neuen Trainer Christian Titz eine klare Spielidee. Allerdings ist die Situation im Abstiegskampf so extrem wie nie. Aber es war uns bewusst, dass das so kommt. Wir müssen nicht mehr auf andere gucken, der Zug ist vorbei. Man muss immer das nächste Spiel gewinnen und dann kann man mal leicht nach rechts und links schielen. Ich sehe eine junge Mannschaft, die sich zerreißt. Es hat mich beeindruckt, wie die Mannschaft gegen Stuttgart den Gegner beherrscht hat. Ich hoffe, dass die jungen Spieler für ihren Einsatz und den Willen noch belohnt werden.“
Jansen, selbst seit kurzem im Aufsichtsrat des HSV, äußerte den Wunsch, dass genau dieses Gremium nach vielen Schlagzeilen der Vergangenheit „in den nächsten Jahren komplett uninteressant wird“ und versicherte, dass er zum Verein und seiner Aufgabe stehe: „Wer mich als Spieler kennengelernt hat, weiß, dass ich nach Siegen und Niederlagen meine Worte gefunden habe und nie einer war, der weggelaufen ist. Wenn ich mich verpissen will, hätte ich dieses Amt nicht antreten müssen. Der HSV muss im Vordergrund stehen, nicht die einzelnen Personen. Ich glaube, dass diese Grundvoraussetzung in schwieriger Zeit gegeben ist. Streitigkeiten und Ideen sind gut, aber wir müssen daraus den besten Weg für den Verein finden, dafür werde ich kämpfen.“
Foto: Kalles Halbzeit im VERLIES